Reptiliengräser und mehr

 

Strukturen,  Lebensräume und einige typische Pflanzenarten
 
Kiefernwald und Kartoffelfeld © Ina Blanke

Pflanzenarten und Strukturen



Für Reptilien besonders wichtig sind Strukturen, nicht unterschiedliche Pflanzenarten. Das ist immer wieder zu lesen – und auch richtig. Es wäre jedoch verkehrt, nicht auch auf die Zusammensetzung der Vegetation zu achten:


Bestimmte Pflanzenarten und bestimmte Reptilienarten haben ähnliche Ansprüche, so dass sie oft vergesellschaftet sind. Die vorkommenden Pflanzen erlauben daher teilweise Rückschlüsse auf möglicherweise vorkommende Reptilienarten.
 

Die arttypischen Wuchsformen verschiedener Pflanzenarten sind unterschiedlich, entsprechend gibt es Arten, die besonders gute Strukturen bilden können.
Auch die Bedeutung verschiedener Pflanzenarten für die Beutetiere der Reptilien unterscheidet sich stark. Gleiches gilt für die Verdunstung und etwaige Speicherung von Feuchtigkeit und somit das Kleinklima, welches verschiedene Pflanzen bieten.


Trocken, warm und weich: 

Pfeifengras (Molinia caerulea) mit trächtiger Kreuzotter (Vipera berus).

Foto: Ina Blanke


Schlange in trockenem Gras

Typische niedersächsische "Reptilienpflanzen" sind auf armen Sandböden Waldkiefern, Hasenklee oder Brombeeren. Auch allgemein beliebte und/oder von Experten geschätzte Pflanzen sind regelmäßig oder ab und an in ihren Lebensräumen zu finden.
Manche Reptilienpflanzen werden jedoch teilweise geradezu verteufelt, dies betrifft u. a. einige Arten, die dichte Filze aus altem bzw. überjährigem Gras bilden.
Diese Filze hemmen die Ansiedlung von Gehölzen ebenso wie die Etablierung konkurrenzschwacher Pflanzen; sie werden daher auch Forstunkräuter oder Problemgräser genannt.  Hier werden insbesondere  das Land-Reitgras (
Calamagrostis epigejos) und das Bent- oder Pfeifengras (Molinia caerulea) regelmäßig angeführt; als Forstunkraut gelten aber auch weitere Gräser, die in Reptilienwäldern regelmäßig vorkommen. 


Achtung:

Ich arbeite vor allem im atlantischen Klima Niedersachsens.
Dort bin ich in den eiszeitlich geprägten Sandlandschaften der Geest zuhause.

Nicht-Nennungen anderer Landschaften, Arten etc. bedeuten daher nicht,  
dass diese für Reptilien nicht wichtig sind.



Altgras im Wärmebild.

Altgraspolster im Wärmebild.

Im Inneren des (hier geöffneten) Polsters ist es noch kühl und feucht (dunkelblau bzw. blauer Pfeil)), das trockene liegende Gras wird auch im Halbschatten stellenweise sehr warm (roter Pfeil am Maximum, rötliche Flächen).

Dazwischen gibt es vielfältige Übergänge - und das alles auf einer Fläche von weniger als einem m²!

Fotos: Ina Blanke 

 

Überwinternde Reptilien dürften von der Isolation der dicken Graspolster profitieren. Im zeitigen Frühjahr bietet das Altgras oft die ersten ausreichend warmen Sonnenplätze, vorteilhaft sind die schnelle Erwärmung der trockenen Halme, ihre vielseitigen Ausrichtungen, der Windschutz in den Kesseln innerhalb der Polster sowie die Isolation gegenüber dem kalten Boden. Im Sommer bieten die grünen Grasbüschel einerseits einen Überhitzungsschutz, das Altgras andererseits schnell abtrocknende und sich schnell erwärmende Sonnenplätze.

Zudem bleibt es innerhalb der dichten Filze relativ lange deutlich kühler und feuchter als in der Umgebung.


Die Grasfilze sind oft mit Laufgängen von Mäusen durchzogen - Reptilien sind daher nicht nur perfekt getarnt, sondern können sich in den „Tunnelsystemen“ gut gedeckt fortbewegen.

Auch diverse Beutetiere leben hier.



Durch Draht-Schmielen (Deschampsia flexuosa ) und Kiefern (Pinus sylvestris ) geprägter Lebensraum, u. a. von Schlingnattern (Coronella austriaca ) und Zauneidechsen (Lacerta agilis).

Foto: Ina Blanke

Vergraste Schneise im Kiefernwald.

Neben den schon genannten Gräsern wird auch die Draht-Schmiele (Deschampsia flexuosa) je nach Sichtweise als Forstunkraut,  Problem- oder Reptiliengras bezeichnet. Die Bedeutung für Reptilien ist bemerkenswert, da dieses recht wenig Strukturen bietet und ihre Dominanzbestände fast monoton sind. – Zufallsfunde bei Pflegemaßnahmen und gezielte Kartierungen weisen jedoch darf hin, dass solche Bestände für Schlingnattern sehr wichtig sind. Auch andere Reptilienarten sind häufig in der Nähe von Draht-Schmielen zu finden.


Britische Reptilienschützer bezeichnen Draht-Schmiele und Pfeifengras in arttypischer Wuchsform als Schlüsselelemente der Vegetationsstrukturen!

Regelmäßige Vergesellschaftungen gibt es in Abhängigkeit von den Standorten bei vielen anderen Gräsern, als Beispiele seien Strandhafer (Ammophila arenaria) als typische Art der natürlichen Lebensräume, der auf Rainen ebenso wie auf Magerrasen zu findende Glatthafer = Französisches Raygras (Arrhenatherum elatius) sowie auf Kalkböden die Fieder-Zwenke (Brachypodium pinnatum) sowie diverse Trespen und Schwingel genannt.

Sowohl ungemähtes (z. B. Brachen) als auch teilweise gemähtes Grasland (z. B. Straßenränder, Mähstreifen in Schutzgebieten) wird oft von Reptilien bewohnt.  

Waldeidechse auf gemähtem Gras

Mähkante am Wegesrand:

Typischer Sonnenplatz von Reptilien -
hier von einer Waldeidechse (
Zootoca vivipara).

Fotos: Ina Blanke


Dichte Vergrasung, mit und ohne "Forstunkräutern" bzw. "Problemgräsern"  kann eine Verbuschung und Bewaldung über sehr lange Zeit effektiv verhindern. Da der praktische Natur- und Landschaftsschutz nicht zuletzt um die Offenhaltung von Teilen der Landschaft kämpft, ist dies schon aufgrund leerer Kassen und fehlender Arbeitskräfte praktisch.
Durch das teilweise Zulassen von sogenannten Problemgräsern können zudem Pflegeeingriffe unterbleiben oder deutlich reduziert werden. Dies reduziert auch das Tötungs- und Verletzungsrisiko für Reptilien und andere Tiere.

Dichter Vergrasung sei Dank: 

Auch nach mindestens 12 Jahren noch offene Brache. 

Von der Erhaltung dieser Lichtung profitieren hier u. a. Zauneidechsen (Lacerta agilis) und Ringelnattern (Natrix natrix).

Foto: Ina Blanke

Große Lichtung.

 

Nicht nur manche Pflanzenarten, auch typische Lebensräume von Reptilien werden teilweise als nicht (sonderlich) schutzwürdig angesehen. Das ist auch verständlich, denn sie sind oft unscheinbar oder gar unschön. Lagerplätze, Ruderalstandorte, Mülldeponien, Bodenabbauten, Ränder von Autobahnen und andere „Restflächen“ bieten Reptilien aber oft gute Strukturen – und nicht selten auch die letzten Lebensräume überhaupt.

Vermeintlich minderwertige Biotope werden häufig überplant. Flächige und/oder eingestreute Bestände von unerwünschter Vegetation sind oft Ziel von Maßnahmen zur Kompensation von Eingriffen oder von Aufforstungen. Eine bessere Kenntnis der Bedeutung „unerwünschter Biotopausprägungen“ und typischer Reptilien-Lebensräume wäre daher für den Artenschutz sehr wichtig.


Gleiches gilt für den Schutz von Waldlichtungen und Waldrändern. Diese gehen in riesigem Umfang durch Erstaufforstungen auf ehemaligen Äckern und durch Ersatzaufforstungen nach Waldrecht verloren.  Diese Aufforstungen erfolgen oft vor unregelmäßig verlaufenden Waldrändern, der Lückenschluss führt so zur deutlichen Verkürzung dieser wichtigen Übergangsbereiche und zur weiteren Monotonisierung der Landschaft.

Der Schattenwurf der Bäume gefährdet langfristig auch benachbarte, noch offene Lebensräume.


Typischer Zauneidechsen-Sonnenplatz -

auch (wie hier)  in der Lüneburger Heide.

Foto: Ina Blanke

Reisebus und Zauneidechse in Straßenböschung.
Heiden und Reptilien

Im Zusammenhang mit Reptilien werden Heiden immer wieder genannt. Die regelmäßige Nennung führt teilweise  zu der Vorstellung, dass ihre typischen Lebensräume zeitweise rosa oder lila sind. Das geht leider nicht selten mit der Vorstellung einher, dass Reptilien anderswo kaum zu finden sind.
Typisch für Reptilien sind die Heidelandschaften an sich, diese beeinhalten ganz verschiedene Biotope auf nährstoffarmen Böden.
In Ostdeutschland versteht man unter Heide v. a. lichte Kiefernwälder, in Süddeutschland bezeichnet der Begriff oft Magerrasen und Trockenrasen.

Viele Menschen verstehen unter Heide nur die zur Blütezeit violett gefärbten Zwergstrauchheiden. In Nordwestdeutschland bezeichnet „Heide“ vor allem diesen Biotoptyp und einige der dort typischen Pflanzenarten. Auch die umgebende Landschaft, bestimmte Naturparks (neben der bekannten Lüneburger Heide z. B. auch die Südheide, für die Wälder, Moore und Gewässer ebenso typisch sind wie die „Heiden“) und ganze Naturräume tragen die Heide im Namen.

Natürliche "rosa" Heiden auf Sandböden gibt es an der Küste, z. B. in Dünen auf den Inseln oder am Rand der Stader Geest bei Cuxhaven sowie im Harz.
Fast alle Heiden wachsen aber auf ehemaligen Waldstandorten, sie werden daher auch sekundäre Heiden genannt. Sie sind in verschiedenen Sandlebensräumen und Naturräumen zu finden, die Unterregion 5.1 "Lüneburger Heide" ist dabei die bekannste - dort finden sich auch die größten Heideflächen.
Auf Heiden in anderen Regionen (z. B. im Weser-Aller-Flachland oder der Stader Geest) sind Reptilien oft deutlich einfacher zu beobachten.
 


Blick über die Heidelandschaft mit Wacholder

Wilseder Berg im Zentrum der Lüneburger Heide.

Foto: Ina Blanke

Für die Klein Bünstorfer Heide werden die unterschiedlichen landschaftlichen Bezüge des Wortes "Heide" unter https://www.bad-bevensen.de/bad-bevensen-entdecken/ihr-urlaubsort/klein-buenstorfer-heide/ treffend so beschrieben:
„Die Heide hat viele Gesichter - und ist ein kostbares und seltenes Gut geworden. Wer an Heide denkt, hat vielleicht weite, lila blühende Flächen vor Augen. In Wirklichkeit macht Calluna vulgaris, die "gemeine Besenheide", den kleinsten Anteil der Fläche in unserer Heideregion aus. Wälder, Wiesen, Kartoffel- und Zuckerrübenfelder, gelber Raps und goldfarbenes Getreide bestimmen heute die Kulturlandschaft“.

 

"Reptilien-Tummelplatz".

Solche Standorte und Wald-Offenland-Mosaike sind  hochwertige Lebensräume von Zauneidechsen und anderen Arten.

Und auch typische Zielgebiete für Erst- und Ersatzaufforstungen.

Foto: Ina Blanke


Breite Raine, Waldränder und Brache

Die bekannte Lüneburger Heide besteht ebenfalls aus einer Vielzahl von Lebensräumen; Kiefernforste haben den größten Anteil. Reptilien sind hier nicht zuletzt an und in Wäldern und Mooren, an den Rändern von Straßen, Bahnanlagen und Äckern sowie in den Ortschaften zu finden. Auch die eigentlichen Heiden werden besiedelt –  wenn sie zumindest teilweise vergrast und/oder vermoost sind. Dies ist für reifere Heiden typisch.

Besonders schön blühen aber die jungen Heiden, sie werden durch die Heidepflege gezielt gefördert. In jungen und strukturarmen "Touristenheiden" sind Reptilien (wenn überhaupt) insbesonders in den Randbereichen wie Weg- und Waldrändern zu finden.


Zauneidechse in vergraster Heide.

 

Zauneidechse in strukturreicher Heide (mit unterschiedlichen "Reptilien- bzw. Problemgräsern" und Moos)

Fotos: Ina Blanke

Diese Zielkonflikte mit der Heidepflege werden seit langem im Reptilienschutz thematisiert. Denn auch die Reptilien gehören in die Heide - Kreuzotter, Zauneidechse und Schlingnatter zählen sogar zu den Charakterarten der Heide.
Der Trend in der Heidepflege geht aber glücklicherweise zumindest gebietsweise zu räumlich differenzierter Pflege (je nach Zielen und Zielarten) sowie zu kleinflächigeren und/oder streifenweisen Bearbeitungen. Bei solchen geht  die Verjüngung der Heide mit Förderungen der strukturellen Vielfalt einher. Durch streifenweise Bearbeitung mit Scheibeneggen sehr kurzer Heiden kann zudem deren Vergrasung gezielt gefördert werden.  Dieses kleinflächige Eggen sollte seltene Vögel und ihre Beutetiere (Insekten) fördern. Auf diesen Streifen waren nachfolgend überdurchschnittlich viele Reptilien zu finden.
Auch diese zufällige Erkenntnis zeigt: Manchmal sind die Pflanzenarten (Gräser) doch wichtiger als die Strukturen. Dies bezieht sich aber auf eingestreute Pflegestreifen oder kleinflächige Mosaike. Auf großflächig kurzrasigen Bereichen fehlt Deckung ebenso wie die Möglichkeit zur Thermoregulation.


Blindschleiche kreuzt Wanderweg  in den Cuxhavener Küstenheiden.

Foto: Ina Blanke

 

Deutschland hat eine besondere Verantwortung für die  Erhaltung dieser Art (Westliche Blindschleiche, Anguis fragilis).  

Blindschleiche auf Weg.
PS Als Begründung für die unverhältnismäßig häufige Nennung von Heiden wird gerne angeführt, dass dort alle norddeutschen Arten vorkommen können.
Gleiches gilt aber auch für Waldränder, die Randbereiche von Straßen, Bahnanlagen und Gärten bzw. Ortschaften, Deponien u. a.
Ein weiterer Grund dürfte darin liegen, dass die frühen britischen Reptilienschützer vor allem in Heiden nach Reptilien suchten.  Heute wird dort auch in weiteren Bereichen gesucht - und gefunden.

Verwendete und weiterführende Literatur :

BLANKE, I. (2019): Pflege und Entwicklung von Reptilienhabitaten – Empfehlungen für Niedersachsen. – Informationsdienst Naturschutz Niedersachsen 38 (1/19): 1-80. 
Download unter https://www.nlwkn.niedersachsen.de/download/203564/Informationsdienst_Naturschutz_Niedersachsen_1_2019_Pflege_und_Entwicklung_von_Reptilienhabitaten_Empfehlungen_fuer_Niedersachsen.pdf
Heft bestellen (4 € zzgl. Versand) unter http://nlwkn-webshop.webshopapp.com/pflege-und-entwicklung-von-reptilienhabitaten-1-19.html


BLANKE, I. & H. FEARNLEY (2015): The sand lizard. - Bielefeld (Laurenti) , 176 p.


BLANKE, I. & D. MERTENS (2013): Kriechtiere. - In: KAISER, T. (Herausgeber) (2013): Das Naturschutzgebiet Lüneburger Heide –Natur- und Kulturerbe von europäischem Rang. – VNP-Schriften 4: Niederhaverbeck: 289-305.

Dieser Artikel bei lacerta.de (3 MB) und der gesamte Band beim VNP http://www.verein-naturschutzpark.de/fileadmin/user_upload/downloads/Schriften/schriften_004.pdf (13,6 MB).


EDGAR, P., J. FOSTER & J. BAKER (2010): Reptile Habitat Management Handbook. – Bournemouth (Amphibian and Reptile Conservation). https://www.arc-trust.org/Handlers/Download.ashx?IDMF=ca8c7414-fb47-4a9a-8883-8ae97268d261 (4 MB).


ROTE-LISTE-GREMIUM AMPHIBIEN UND REPTILIEN (2020): Rote Liste und Gesamtartenliste der Reptilien (Reptilia) Deutschlands. – Naturschutz und Biologische Vielfalt 170 (3): 64 S. https://www.rote-liste-zentrum.de/files/NaBiV_170_3_1_RL_Reptilien_2020_20210317-1609.pdf (4,2 MB).


SCHNEEWEISS, N., I. BLANKE, E. KLUGE, U. HASTEDT & R. BAIER (2014): Zauneidechsen im Vorhabensgebiet – was ist bei Eingriffen und Vorhaben zu tun? Rechtslage, Erfahrungen und Schlussfolgerungen aus der aktuellen Vollzugspraxis in Brandenburg. - Naturschutz und Landschaftspflege in Brandenburg 23 (1): 4-23.
https://www.lacerta.de/AF/Bibliografie/BIB_8583.pdf (PDF-Datei, 2,0 MB).
Download des gesamten Heftes unter
https://lfu.brandenburg.de/sixcms/media.php/9/NundL%201_2014.pdf


 
Weitere Literatur


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